Vorbehalte raus. Inklusion rein.

Inklusion in der Arbeitswelt

Viele Unternehmen sehen Inklusion in der Arbeitswelt nach wie vor als unlösbare Mammutaufgabe. Dadurch wird enormes Potenzial verschwendet. Wie sooft scheitert es an der mangelnden Kommunikation. Wir haben mit Menschen gesprochen, die das ändern möchten.

„Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung erleben am Arbeitsplatz immer noch Diskriminierung“, erzählt Michael Zakall. Er ist Talent Manager beim Sozialunternehmen myAbility und ursprünglich ausgebildeter Musicaldarsteller und Schauspieler. Seit er eine chronische Erkrankung hat, ist es ihm nicht mehr möglich, in der Kunst zu arbeiten. Bei myAbility arbeitet er jetzt an der Schnittstelle für Inklusion, Arbeit und Wirtschaft und versucht, mehr Chancengleichheit am Arbeitsmarkt zu schaffen.

Im Jahr 2020 hat Michael Zakall selbst am angebotenen Karriereprogramm teilgenommen. „Das Talent Programm geht gezielt auf Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen ein, baut Barrieren so gut wie möglich ab und vernetzt Interessierte mit Unternehmen, die ihre Inklusionsstrategie fördern wollen“, erklärt Michael.

Das Team von myAbility berät Firmen dazu, wie sie mehr „Disability Confidence“ aufbauen, um inklusive Arbeitsplätze zu erschaffen. Bei sogenannten Matching Days können Teilnehmer*innen des Programms Unternehmen kennenlernen und sich mit Personaler*innen vernetzen. Wenn es zwischen beiden Parteien passt, gibt es die Möglichkeit, einen Shadowing Day zu absolvieren und die Tätigkeitsbereiche und Strukturen eines Unternehmens kennenzulernen.

David Erkinger ist Teilnehmer des myAbility Talent Programms. Beim Matching Day konnte er einige Unternehmen von sich überzeugen. „Es war ein cooler Tag, denn ich durfte nicht nur Personaler*innen, sondern auch die anderen Talent-Programm-Teilnehmer*innen kennenlernen. Die Job Shadowing Days, die sich daraus ergeben haben, haben zu einem Praktikum geführt“, erzählt der 27-Jährige. Im Rahmen des Talent Programms können Teilnehmer*innen Netzwerke aufbauen, die im Idealfall die ganze Berufslaufbahn bestehen bleiben.

Der Status quo ist mangelhaft

Der Arbeitsmarkt ist aktuell alles andere als inklusiv. „Wir haben beobachtet, dass die Teilnehmer*innen unseres Programms entweder gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden oder im Prozess aussortiert werden, sobald sie ihre Erkrankung oder Behinderung erwähnen“, so Talent Manager Zakall.

„Viele glauben, Menschen mit Behinderungen sind nicht oder viel weniger leistungsfähig. Das ist einfach falsch. Ich würde sogar sagen, dass hier das Gegenteil zutrifft. Viele erbringen zusätzliche Leistungen, weil sie so viele extra Hürden überwinden müssen.“ - Rosa Kaufmann

Was vielen Menschen nicht bewusst ist: In Österreich müssen Unternehmen, die mindestens 25 Personen angestellt haben, eine Ausgleichstaxe zahlen, wenn sie nicht pro 25 Personen eine „begünstigt behinderte“ Person anstellen. Begünstigt behindert heißt, dass eine behördliche Bestätigung über einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent vorliegt. Im Jahr 2022 haben 68 Prozent der Unternehmen eine Ausgleichstaxe bezahlt. Rosa Kaufmann, Projektleiterin der „Zentralen Koordinierungsstelle Arbeit Inklusiv“ des NEBA Betriebsservice, arbeitet mit ihrem Team und vielen Kolleg*innen daran, den Prozentsatz zu verringern. NEBA steht für „Netzwerk Berufliche Assistenz“. „Das ist eine Dachmarke, die verschiedene Träger*innen vereint, die Angebote für Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter haben“, sagt Rosa Kaufmann.

Inklusion ist ein Thema, dass alle Menschen betrifft

Ganz konkret gibt das NEBA Betriebsservice Unternehmen Tipps für ein inklusives Recruiting, hält Workshops für Mitarbeiter*innen oder Geschäftsführer*innen zur Sensibilisierung oder berät, wenn es um die Gestaltung des Arbeitsplatzes geht. Außerdem gibt es eine Datenbank, in der offene Stellen der beratenen Unternehmen eingetragen werden. Arbeitsassistent*innen unterstützen Interessierte bei der Bewerbung oder anderen Fragestellungen. „Inklusion ist ein Thema, dass ALLE Menschen betrifft. Es geht darum, dass jede*r die Unterstützung bekommt, die er*sie braucht, egal ob mit oder ohne Behinderung. Jede Person möchte einen Arbeitsplatz haben, der sich nach den eigenen Wünschen gestaltet: Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und Teilzeit werden immer beliebter “, so Kaufmann.

Viele Unternehmen haben immer noch Vorbehalte, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderung anzustellen. „Unternehmen stehen meiner Meinung nach erst am Anfang, wenn es um Barrierefreiheit geht. Ein Stigma, das nach wie vor existiert, ist, dass Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung keine Leistung erbringen und deswegen zum Beispiel keine Führungspositionen einnehmen können. Die Wissenschaft hat uns jedoch gezeigt, dass das nicht stimmt,“ schildert Talent-Programm-Teilnehmer David Erkinger.

"Firmen haben sich lange hinter dem Argument ,Wir haben das immer schon so gemacht' versteckt. Das geht heute nicht mehr - man sehe sich nur den Fachkräftemangel an. Es findet gerade ein Umschwung im Recruiting statt und ich sehe diesen persönlich als große Chance." - Michael Zakall

Das bestätigt auch Rosa Kaufmann: „Ein Vorurteil ist, dass Menschen mit Behinderungen nicht oder viel weniger leistungsfähig sind. Das ist einfach falsch. Ich würde sogar sagen, dass hier das Gegenteil zutrifft. Viele müssen zusätzliche Leistungen erbringen, weil sie so viele zusätzliche Hürden überwinden müssen.“ Da Inklusion noch immer in den Kinderschuhen steckt, geht Michael Zakall zufolge viel Potenzial verloren. „Firmen haben sich lange hinter dem Argument ‚Wir haben das immer schon so gemachtʻ versteckt. Das geht heute nicht mehr – man sehe sich nur den Fachkräftemangel an. Es findet gerade ein Umschwung im Recruiting statt und ich sehe diesen persönlich als große Chance für jeden Menschen, der*die einen individuellen Arbeitsplatz braucht.“ Wenn Arbeitgeber*innen auf die Wünsche von Mitarbeiter*innen eingehen, die vorher möglicherweise viel Unangenehmes erlebt haben, dann löse das eine intrinsische Motivation aus, die nach Michael Zakall gar nicht rekrutiert werden kann.

Communication is key

Was wünschen sich Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung von potenziellen Arbeitgeber*innen? „Mindestens die Hälfte der Wünsche wäre schon erfüllt, wenn eine transparente Kommunikation in einem wertfreien Raum stattfinden würde. Auf diese Weise fühlt man sich gehört und gesehen. Denn selbst wenn die Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden können, fühlen sich die Menschen meiner Erfahrung nach nicht mehr so diskriminiert, wenn zumindest Lösungen gesucht werden“, sagt Michael Zakall. Am glücklichsten macht es ihn, wenn die Talents das Programm durchziehen, dadurch eine neue Perspektive bekommen und als Botschafter*innen andere Menschen dazu zu bewegen, das Thema Inklusion ernst zu nehmen.


Dieser Artikel ist zuerst in unserem Karrieremagazin Rise erschienen. 

Autorin: Nadja Riahi